Ein positiver Fußabdruck

Ruth Firsching

November / November - 2019

Kunsthochschule Kassel

Diplom

Kurzbeschreibung

Ziel meiner Diplomarbeit ist es, herauszufinden, wie der Produktlebenszyklus nachhaltiger, kreislauffähiger Sneakersohlen aus Naturkautschuk in Sri Lanka gestaltet werden könnte. Um dieser Forschungsfrage nachzugehen, baut sich die Arbeit in drei Teile auf: dem “IST-Zustand“, der „vermittelnden Ebene“ und der „spekulativen Ebene“.

Die Auseinandersetzung mit dem IST-Zustand bildet die Basis der Arbeit und umfasst einen entsprechenden Research, welcher die Komplexität und die Herausforderungen des Produktlebenszyklus analysiert sowie dessen ökologische und soziale Wirkungszusammenhänge untersucht.
Basierend auf dieser Untersuchung werden auf der „spekulativen Ebene“ mögliche Handlunspotentiale für nachhaltige Verbesserungen der Produktentwicklung ermittelt und aufgezeigt. Als Methode dient hierzu die Formulierung einer Utopie, die als Zukunftsentwurf Anhaltspunkte für Strategien und Lösungsansätze für die Gegenwart liefern kann. Indem die Utopie aktuell scheinbar Unmögliches als mögliche Realität darstellt, erweitert sie die Sichtweise auf die Gegenwart und fördert so innovatives Denken über gefestigte Grenzen hinaus. Die Utopie in meiner Arbeit setzt sich aus drei konkreten Szenarien zusammen. Diese Szenarien geben spekulative Antworten auf die Fragen: Wie könnte Kautschuk ökologisch und fair erzeugt werden? Wie könnten Kautschuksohlen kreislauffähig gestaltet werden? Wie könnten Kautschuksohlen in einen Kreislauf zurückgeführt werden?
Um solche fiktionalen Ideen ableiten zu können, bedarf es aber auch realpolitischer Sichtweisen, welche durch die „vermittelnde Ebene“ abgebildet werden. Sie bildet so die Schnittstelle beider Seiten und beleuchtet gegenwärtige Entwicklungen im Hinblick auf die Zukunft. Darüber hinaus erweitert sie den Blick über die in der Literatur gängigen Perspektiven, um individuelle praxisrelevante Perspektiven. Zu diesem Zweck wurde mit verschiedensten Akteur*innen, Expert*innen und Betroffenen gesprochen. Hierbei war besonders wichtig zu erfahren, wie die Interviewpartner*innen die Probleme der Gegenwart einschätzen, welche Schritte Sie innerhalb ihrer Station bereits unternehmen und wie ihr Blick auf die Zukunft ist.

Meine Diplomarbeit stellt so eine Betrachtung der nachhaltigen Produktentwicklung zwischen Fiktion, Innovation und Machbarkeit dar.

Was ist das Thema?

Die textile Bekleidungsindustrie ist, global betrachtet, die zweitgrößte Konsumgüterbranche nach der Lebensmittelindustrie. Bekleidung wird viel und gerne gekauft und das „Shoppen“ ist für viele unlängst zum Hobby geworden. Eine Kategorie, die sich dabei besonders großer Beliebtheit erfreut, sind die Sneakers. Allein in Deutschland wird für das Jahr 2021 ein Marktvolumen von 57,67 Millionen Paar prognostiziert. Das bedeutet ein neues Paar für fast 80% der deutschen Bevölkerung. Sneakers sind also ein Massenprodukt, welches generationenübergreifend und in allen Schichten getragen wird und sich dabei zum Lifestyleobjekt entwickelt hat. Doch wie überall in der Textilbranche, verursachen auch Sneakers durch Produktion, Nutzung und Entsorgung zahlreiche ökologische und soziale Probleme. Arbeitsrechtsverletzungen, extrem niedrige Löhne und Diskriminierung stehen für die Arbeiter*innen, entlang der gesamten Lieferkette, auf der Tagesordnung. Die Produktion neuer Textilien verbraucht außerdem enorm große Mengen an Ressourcen, Wasser und Energie und der Einsatz giftiger Chemikalien und Pestizide belastet die Umwelt. Darüber hinaus fallen jedes Jahr Millionen Tonnen Altkleider an, die als Rohstoff kaum wieder zu verwerten und zu einem großen Teil nicht biologisch abbaubar sind. Auch während der Nutzung verursachen Textilien Umweltbelastungen. So belegt beispielsweise der durch Schuhsohlen erzeugte Abrieb Platz 7 der Mikroplastik-Verursacher, mit 109 Gramm pro Person pro Jahr. Zudem sind die Lieferketten textiler Produkte, wie Sneakers durch die Globalisierung der Märkte und die Nutzung unterschiedlichster Materialien extrem komplex. Gestalterische Entscheidungen beispielsweise haben bezüglich der Materialwahl innerhalb eines Produktes entsprechend weitreichende Konsequenzen entlang des gesamten Produktlebenszyklus. Dabei umfasst der Produktlebenszyklus alle Wirkungsebenen eines Produktes, also die Rohstoffgewinnung, Weiterverarbeitung, Fertigung, Nutzung und das End of Life. Ein Wandel der Textilindustrie von ausbeuterischen und umweltschädlichen Praxen hin zu nachhaltigen Alternativen erscheint also dringend notwendig. Und das gilt auch für die Kategorie der Sneakers, deren Relevanz und Beliebtheit stetig zunimmt. Aus dieser Problematik ergibt sich also das Thema und die Forschungsfrage meiner Arbeit: wie der Produktlebenszyklus nachhaltiger, kreislauffähiger Sneakersohlen aus Naturkautschuk in Sri Lanka gestaltet werden könnte? Die vorliegende Arbeit fokussiert sich außerdem bewusst auf nur eine Komponente des Sneakers, nämlich die Sohle, als den charakteristischsten Teil. Damit soll die Komplexität des Themas in einem sinnvollen Rahmen gehalten werden. Aus dem selben Grund wird sich diese Arbeit, auch wenn Sneakersohlen aus verschiedensten Materialien bestehen können, auf das Ursprungsmaterial, nämlich Naturkautschuk, beschränken.

Warum sieht es so aus?

Bis dato herrscht kein Konsens über die Rolle des Designs und entsprechend groß ist auch das Spektrum an, von Designer*innen bearbeiteten Problemen, Themenfeldern und Verantwortungsbereichen. Die Liste der Artefakte, Services und Konzepte, die von Designer*innen gestaltet werden können, ist schier endlos und wächst stetig. Darüber hinaus können Designentscheidungen in einer globalisierten Welt weitreichende Folgen auf den unterschiedlichsten Ebenen verursachen. Infolgedessen erweitern sich die Verantwortlichkeiten von Designer*innen zunehmend. Als Designer*in sollte man sich also die Frage stellen, welche Konsequenzen die eigene Gestaltung auf Mensch und Umwelt hat und welche Handlungsspielräume die eigene Rolle ermöglicht. Im Falle dieser Arbeit wird daher untersucht, was es bedeutet, wenn man sich als Designerin entscheidet, in einem bestimmten Kontext ein bestimmtes Material zu nutzen. Aus diesem Grund lotet diese Arbeit die Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb eines gesamten Produktlebenszyklus aus und untersucht, wie nachhaltige Produktentwicklung aussehen und wie weit man als Designer*in dabei gehen kann. Diese Arbeit soll den Wirkungszusammenhängen einer gestalterischen Entscheidung nachgehen, nämlich der: welches Material aus welchem Ursprung zu welchem Zweck in welchem Kontext genutzt wird. Dabei nimmt das Design eine vernetzende und verknüpfende Rolle ein, die Übersichtlichkeit in einen komplexen Sachverhalt bringt, Zusammenhänge deutlich macht, Erkenntnisprozesse auslöst und Gestaltungspotentiale herausarbeitet. Aus diesem Grund ist im Rahmen dieser Arbeit auch wichtig, das Wissen und die Positionen von Experten und Betroffenen mit einzubeziehen und in den Gestaltungskontext zu integrieren. Aus dieser Position heraus kann die vorliegende Arbeit weniger als klassisches Entwurfsprojekt aus dem Produktdesign, sondern viel mehr als Research bezeichnet werden. Diese Research und die sich daraus ableitenden Handlungspotentiale sollen so die Basis einer nachhaltigen Produktentwicklung schaffen.

Was ist das Besondere?

Auch wenn „Fast Fashion“ noch immer den Mainstream der Mode bestimmt, gewinnt nachhaltige Mode unter Begriffen wie „Eco-Fashion“ oder „Slow-Fashion“ bei den Konsument*innen zunehmend an Bedeutung. Bei dieser Entwicklung machen mittlerweile viele Unternehmen mit, von den ganz Großen bis zu den ganz Kleinen. Entsprechend werden auch mehr und mehr „nachhaltige“ Sneakers auf den Markt gebracht. Mit dabei sind Sneakers aus Ozeanplastik, alten Autoreifen oder Ananasleder. Doch welche Definition von Nachhaltigkeit diesen Produkten dabei zugrunde liegt, ist oftmals nicht klar. So sind häufig vermeintlich nachhaltige Modelle bei genauerem Hinsehen, doch keine wirklich besseren Alternativen. Das Besondere an meiner Arbeit ist daher zum einen, dass der Begriff der Nachhaltigkeit, welcher in aktuellen Debatten geradezu inflationär benutzt wird, im Zuge dieser Arbeit genau abgesteckt wird. Der Frage nach der nachhaltigen Produktentwicklung liegt in dieser Arbeit also eine klar formulierte Nachhaltigkeitsstrategie vor. Denn um wirklich nachhaltige Produkte zu entwickeln ist langfristig eine Strategie vonnöten, die die Materialnutzung nicht bloß reduziert, sondern von Grund auf anders gestaltet. Außerdem entstehen durch Sneakers auf den verschiedenen Prozessstufen der Produktion und entlang des gesamten Produktlebenszyklus soziale Probleme und starke Umweltbelastungen. Meine Arbeit zeichnet sich an dieser Stelle, durch eine wirklich ganzheitlichen Betrachtung des gesamten Produktlebenszyklus, vom Rohstoff bis zum Ende der Nutzungsdauer aus, welche in der aktuellen Debatte oft fehlt.

Was ist neu?

Ich denke der Ansatz des „Spekulatives Design“ in der nachhaltigen Produktentwicklung und im Hinblick auf ganze Produktlebenszyklen ist neu und kann enorm helfen, Ideen und Ansätze zu erproben, die wichtige Impulse für Innovationen geben können und sich gegebenenfalls auf zukünftige Lösungsansätze übertragen lassen. Im Rahmen meiner Arbeit habe ich basierend auf einem umfangreichen Research zu diesem Zweck Utopien gestaltet, die ganz konkrete Ansätze für die gegenwärtige Praxis liefern. Denn oftmals stellen aktuelle Gegebenheiten, Umstände und Ressourcen maßgebliche Einschränkungen bei Fragen der Produktentwicklung, insbesondere der nachhaltigen Produktentwicklung, dar. Mit Sicherheit ist es wichtig, sich konkret an diesen Einschränkungen abzuarbeiten, um sie im besten Falle hinter sich lassen zu können. Doch ist eine wesentliche Gefahr dabei, dass sich vermeintlich gelöste Probleme lediglich verschieben oder wichtige Innovationspotentiale übersehen werden. Insbesondere Überlegungen zu Konzepten wie der Kreislaufwirtschaft scheitern in der Gegenwart häufig an aktuell fehlenden Rahmenbedingungen. Das Innovationspotential von neuen Konzepten wird so oftmals schon im Keim erstickt. Doch auch wenn aktuell für die volle Entfaltung oder Realisierung nachhaltiger Konzepte bestimmte Bedingungen fehlen, ist deren Entwicklung dennoch extrem wichtig. Würde beispielsweise eine Vielzahl an Produkten entwickelt werden, die alle eine bestimmte Kompostieranlage benötigen, um abgebaut und damit zu Nährstoff werden zu können, würde früher oder später eine solche Kompostieranlage zur Realität werden. Eine große Nachfrage würde sich das Angebot so irgendwann selbst schaffen. Utopien als Idealzustände, abgeleitet aus Wünschen, Vorstellungen und Wissen der betroffenen Akteure, könnten so als Prüfinstrument der Gegenwart und aller unternommener Schritte hin zu einer nachhaltigen Entwicklung dienen. Generell wird das Designkonzept des „spekulativen Designs“ zwar eher zur Anregung der Imagination bei Themen mit einem allgemeinen soziokulturellen oder soziotechnologischen Kontext verwendet, es hat aber auch im Bereich der Produktentwicklung großes Potential.